Storytelling 1: Dekolonisierung 0 in der Ausstellung „Inside Rembrandt“

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Rembrandt van Rijn lebte von 1606 bis 1669, also während des sogenannten Goldenen Zeitalters der Niederlande. Die Ausstellung „Inside Rembrandt“ im Wallraf-Richartz-Museum verortet und kontextualisiert sein Werk unter anderem in der niederländischen Wissensgesellschaft und der Amsterdamer Stadtgesellschaft des 17. Jahrhunderts (https://www.wallraf.museum/ausstellungen/aktuell/2019-11-01-inside-rembrandt/, aufgerufen am 19.11.2019). Zum Beispiel ist Rembrandt’s „Porträt einer jungen Frau mit Fächer“ folgendermaßen beschrieben: „Am Puls der Zeit […] Er versetzt sein Modell in Aktion, mit ausladender, selbstsicherer Frontalität. Ein Spiegel der dynamischen Amsterdamer Gesellschaft. Die kostbare Taschenuhr mit Schlüsselchen misst das beschleunigte Lebenstempo.“ (Kat. nr. 59, Rembrandt van Rijn, Porträt einer jungen Frau mit Fächer, 1633, Öl auf Leinwand)

Die Kolonialgeschichte kommt nicht als Gliederungspunkt im Ablauf der Ausstellung vor, die beiden Handelsgesellschaften, die mit militärischer Macht und versklavten Menschen koloniale Vorhaben vorantrieben, werden gar nicht erwähnt – während sich in den ausgestellten Gemälden und Drucken aber vielfältige Verweise auf das Koloniale finden. Zum Beispiel in Jan Lieven’s „Halbfigur eines Mannes im orientalischen Kostüm“ mit Turban und Federbusch, der unter der Überschrift „Paradiesische Federn“ erläutert wird: „Dieses Prunkstück stammte vom Gefieder eines Paradiesvogels. Der Handel mit dem Nahen Osten und der Besuch einer Gesandschaft des persischen Schah 1626–27 in den Niederlanden weckte orientalische Phantasien.“ (Kat. nr. 32, Jan Lievens, Halbfigur eines Mannes im orientalischen Kostüm, um 1629, Öl auf Leinwand) Nicht erwähnt ist die ökonomische Grundlage der Inszenierung, dass Paradiesvögel und deren Federn aus Papua stammten und als Handelsgut der VOC (Verenigde Oostindische Compagnie) in die Niederlande kamen. Die Kunsthistorikerin Claudia Swan hat die Stationen solcher Objekte und deren künstlerische Repräsentation erforscht (Exotica on the Move. Birds of Paradise in Early Modern Holland. Early Modern Objects in Motion, hrsg. von Daniela Bleichmar und Meredith Martin. Chichester and Hoboken: John Wiley and Sons 2016, S. 24–39.) 

Gleichzeitig führen die Informationstafeln zu einzelnen Werken in den erzählerischen Überschriften Formulierungen wie „exotisches Profil“ ein, ohne darauf näher einzugehen. Sind es Beschreibungen, die die ausgestellten Künstler selbst genutzt haben? Sind es Kategorisierungen, die in der Kunstgeschichte noch üblich sind? Warum unterscheiden sie sich von den etablierten Titeln für die zugeordneten Drucke und Gemälde, hier zum Beispiel „Kopf eines Orientalen“? (Kat. nr. 26, Jan Lievens, Kopf eines Orientalen, um 1630/31, Radierung)

Besonders problematisch finde ich den Text zum „Tronie eines schwarzen Jungen“, weil darin die Verharmlosung von Sklaverei mit einer beinahe erotisierenden Beschreibung einhergeht: „Die Büste des schwarzen Jungen ist von erlesener Schönheit. Elegant wendet er sich aus dem Profil und blickt uns mit Ernst in die Augen. Glanzlichter schimmern auf der glatt und weich erfassten Haut, auf Stirn, Nase und Lippen. Ein scharfer Schatten betont die Wangenknochen. Derartige ‚Mohrentronies‘ – wie man das Motiv seinerzeit nannte – waren sehr beliebt. Erste Schwarzafrikaner waren um 1600 als Sklaven nach Amsterdam gekommen. Sie lebten dort um 1630 teilweise bereits in Freiheit.“ (Kat. nr. 33 Gerrit Dou, Tronie eines schwarzen Jungen, 1630–33, Öl auf Holz) Den Kontext ähnlicher Darstellungen und vor allem die Geschichte der Dargestellten hat 2017/18 die Ausstellung „Afrikaanse Bedienden aan het Haagse hof“ (Afrikanische Diener*innen am Haagschen Hof) im Haags Historisch Museum in Den Haag untersucht. (https://www.haagshistorischmuseum.nl/tentoonstelling/afrikaanse-bedienden-aan-het-haagse-hof, aufgerufen am 19.11.2019)

Mit dem kolonialen Blick geht ein patriarchaler Blick auf Frauen und die Geschlechterordnung in Rembrandts Leben und ausgestellten Kunstwerken einher, der ebenfalls nicht eingeordnet und kritisiert wird. Was ist die zeitgenössische Sicht, und was ist der aktuelle Forschungsstand zu Frauen als Objekt und Frauen als Handelnden? Gleich der ersten kleinformatigen Radierung zu Beginn der Ausstellung, einer Ansicht von Amsterdam, ist ohne Not der Satz hinzugefügt: „Zuhause erwartet ihn seine geliebte Ehefrau Saskia.“ (Außer Katalog, Rembrandt van Rijn, Ansicht von Amsterdam, vom Kadijk aus gesehen, vor 1642, Radierung) Im Text zum Gemälde „Alte Frau mit Kerze“ von Gerrit Dou heißt es: „Ungnädig porträtiert das flackernde Licht die faltige Haut und eine Zahnlücke der Alten. Ihr Blick herab aus einer Tür erinnerte den damaligen Kunstkenner sofort an Dous Gemälde, in dem hübsche junge Damen in gleicher Pose Ausschau nach Verehrern halten. Hier liefert er eine amüsante Parodie auf das Motiv.“ (Kat. nr. 36, Gerrit Dou, Alte Frau mit Kerze, 1661, Öl auf Holz) Amüsant für wen? Der Ehefrau, der flirtenden Frau, der gealterten Frau steht in Rembrandt’s Zeichnung „Saskia Uylenburgh am Fenster“ noch die „Muse und Managerin im Sonnenlicht“ gegenüber: „Der Foliant auf der Fensterbank wird teilweise als Kassenbuch interpretiert. Man vermutet, dass Saskia das Management ihres Mannes übernommen hatte. Generell besaßen niederländische Frauen einen emanzipierten Status mit finanziellen Vollmachten.“ Warum aber findet sich das nicht als Motiv in den ausgestellten Gemälden wieder?

Die Ausstellung zieht ein internationales Publikum an und trägt dem mit Saaltexten in deutscher und englischer Sprache Rechnung. Außerdem richtet sie sich mit einem besonderen Audioguide und einem Comic auch explizit an Kinder. Deswegen halte ich es für ein großes Versäumnis in der Wissensvermittlung, dass der Forschungsstand zum Kolonialen und zu Gender in der Kunst, die Diskussion zur Dekolonisierung in Museen und damit auch die Diversität von Besucher*innen nicht reflektiert ist.